2015
Weihnachtsbriefe aus Indien
Zu Weihnachten haben uns wieder rund hundert bunte Briefe aus den von uns betreuten Heimen erreicht. Unsere LIFT Paten und Großspender erhalten die Originale in den nächsten Wochen zusammen mit ihren Spendenquittungen.
In den Briefen bedanken sich die Mädchen für die finanzielle Unterstützung durch die Spender im fernen Deutschland, aber sie berichten auch sehr freimütig über ihre häusliche Situation. Und die ist häufig gar nicht gut. Da viele Familien von einem winzigen Stück Land leben müssen, in der Regel von einem halben oder höchstens einem Hektar, spielt in diesem Jahr die katastrophale Trockenheit im Frühjahr und Sommer in Karnataka in den meisten Briefen eine große Rolle. “Es ist alles verdorrt, nicht einmal für die Tiere blieb etwas übrig“, heißt es immer wieder, „wir wissen nicht, wie es zuhause weitergehen soll.“ Die meisten Eltern mussten deshalb auf Arbeitssuche in die Stadt gehen. Dort bekommen sie als Tagelöhner gerade einmal einen Euro für 10 Stunden, wenn sie überhaupt Arbeit finden.
Die meist zahlreiche Geschwisterschar wird dann von der Großmutter versorgt, doch das, was die Eltern nachhause schicken, reicht hinten und vorne nicht. „Nachhause“ – das ist für viele der Mädchen kein heimeliger Begriff: eine primitive Lehmhütte zumeist, oder einfach auch: gar nichts: “Wir leben im Wald und haben kein Haus“, schreiben mehrere der schwarzen Siddhi-Mädchen, von denen inzwischen einige in unseren Heimen leben. Diese Nachkommen der Sklaven, die in Goa und den Herrscherpalästen von Hyderabad gehalten wurden, haben sich tief im Landesinneren verkrochen, und niemand kümmert sich um sie – wenn es nicht die Marys gäbe. Sie sorgen dafür, dass auch die schwarzen, von der indischen Gesellschaft verachteten Kinder, voller Selbstbewusstsein und mit einer guten Schulbildung einer völlig neuen Zukunft entgegen gehen. Drei von ihnen haben es bereits ins College geschafft, eine kleine Sensation.
Auffallend viele Mädchen klagen in ihren Briefen darüber, dass ihr Vater sein ganzes Geld vertrinkt und nicht für die Familie sorgt. Herzzerreißend ist der Brief einer Achtjährigen, die schreibt: „Mein Vater liebt mich nicht. Er ist mit einer anderen Frau davongegangen.“ Auch wenn gerade die Kleinen immer wieder von Heimweh berichten, geht aus all den Briefen doch klar hervor, wie froh sie sind, bei den Marys Unterschlupf gefunden zu haben. „Die Sisters helfen uns bei allem, was wir brauchen“, heißt es immer wieder, und alle, egal ob Hindus, Christen oder Muslims fieberten, wie hierzulande die Kinder, Weihnachten entgegen. „Wir haben Kekse gebacken“, berichten sie enthusiastisch. Das hat vor Jahren Anna Huberta Roggendorf, die deutsche Gründerin des Ordens, ihren Marys beigebracht. Seitdem ist die Weihnachtsbäckerei geheiligte Tradition in allen Stationen der Schwestern.