13. Sep
2013

Todesstrafe für Vergewaltiger von Delhi

Vergewaltigungsprozess von Delhi

13. September – Die Todesstrafe, die am Freitag im Vergewaltigungsprozess von Delhi gegen die vier erwachsenen Angeklagten wegen „ihrer Brutalität ohnegleichen“ verhängt wurde, soll, so der Richter, „eine eindrückliche Botschaft sein, dass die massenhaften Verbrechen gegen Frauen nicht länger toleriert werden. Schwere Verbrechen gegen Frauen gehören ans Tageslicht gebracht und es obliegt der Justiz, den Frauen ihr Vertrauen in dieselbe zurückzugeben.“ Mit viel Beifall ist in Indien dieses Urteil gegen die vier Männer, die im Dezember eine junge Studentin brutal vergewaltigt hatten aufgenommen worden. Allerdings wurde von Frauenverbänden und Juristen auch Kritik geäußert, weil sich die Politik auf diese Weise eines grundlegenden Problems einfach entledige und nicht den Ursachen der Gewalt auf den Grund gehe. Immerhin sitzen in indischen Parlamenten mehr als 50 Männer, gegen die ein Verfahren wegen Vergewaltigung läuft. In allen Meinungsumfragen seit Anfang des Jahres, sagt die Mehrzahl der befragten Frauen, dass Angst nach wie vor das alles bestimmende Element in ihrem Leben ist, und dass sich an den Verhältnissen, Polizei und Justiz betreffend, nichts geändert habe.

In Indien wird die Todesstrafe äußerst selten verhängt und noch seltener vollstreckt. In den vergangenen 17 Jahren geschah das drei Mal. Gegenwärtig sitzen 447 Verurteilte in den Todeszellen. Auch die vier Vergewaltiger, der Busputzer Akshay Kumar Singh, der in einer Gymnastikhalle beschäftigte Vinay Sharma, der erst 19jährige Obstverkäufer Pawan Gupta und der Arbeitslose Mukesh Singh werden jetzt den Gang in die Instanzen antreten, um die Umwandlung ihrer Strafe in ein lebenslänglich zu erreichen. Das wird Jahre dauern.

Die vier erwachsenen Angeklagten der Gruppenvergewaltigung vom 16. Dezember – der fünfte war in seiner Zelle erhängt aufgefunden worden, ein zur Tatzeit angeblich Minderjähriger war bereits am 31. August zur Höchststrafe von drei Jahren Jugendheim verurteilt – sind unter anderem wegen Vergewaltigung, Mord, Raub, Entführung und Verschwindenlassens von Beweisen schuldig befunden worden.

Sie hatten sich am 16. Dezember, mit dem Plan, auf Raub- und Vergewaltigungstour zu gehen, so der Staatsanwalt, einen der vielen privaten Busse, die auf Delhis Straßen fahren, geschnappt. Der 23jährigen Studentin Jyoti Pandey und ihrem männlichen Begleiter, die nach einem Kinobesuch um neun Uhr abends arglos in den Bus einsteigen, wurden erst Fahrscheine verkauft, dann wurde der Mann niedergeschlagen und die junge Frau eine Stunde lang im fahrenden Bus vergewaltigt, ihr die inneren Organe herausgerissen und sie mit einer Eisenstange so schwer verletzt, dass sie später starb. Beide Opfer wurden nach der Vergewaltigungsorgie blutend und nackt aus dem Bus geworfen, wo sich schnell eine gaffende Menschenmenge sammelte, die ihnen jedoch nicht half, getreu dem in Indien, nach leidvollen Erfahrungen, geltenden Prinzip: sich bloß nicht in Polizeiangelegenheiten einmischen. Das gibt nur Ärger.

Bis auf einen behaupten nach wie vor alle Angeklagten nichtschuldig und zur Tatzeit an weit entfernten Orten gewesen zu sein. Einer ihrer Verteidiger sagt sogar, das Urteil sei auf politischen Druck zustande gekommen und nur deshalb so ausgefallen, weil die Angeklagten arm und hilflos seien.

Viel Unmut ist Indien laut geworden, dass der Prozess trotz Schnellgericht sieben Monate dauerte. Aber für indische Verhältnisse, wo Prozesse, wenn sie denn überhaupt stattfinden, häufig erst nach zehn, zwanzig Jahren in Gang kommen, ist dieses Verfahren in Rekordzeit abgeschlossen worden. In Indien kommen auf etwa eine Million Menschen gerade mal elf Richter. 100.000 Vergewaltigungsfälle schmoren in den Akten. Vergewaltiger mussten bisher kaum damit rechnen, bestraft zu werden.

Obwohl in Indien ein enormes Interesse an dem Prozess herrschte, war es der Presse nicht erlaubt, aus dem Gerichtssaal zu berichten. Dennoch wurden bekannt, wie die Verteidigung ständig versucht hatte, das Verfahren zu verzögern. So gerieten die Verteidiger immer wieder untereinander in Streit oder sie erschienen einfach nicht zu den Verhandlungen, wie auch viele Zeugen der Verteidigung, die zudem häufig ihre Aussagen änderten. Sehr oft waren auch die Angeklagten nicht verfügbar, entweder, weil sie nach angeblicher Folter oder versuchter Vergiftung im Krankenhauswaren waren, oder weil sich einer auf ein Examen zur Aufnahme in die Luftwaffe vorbereiten wollte. Aber auch die Stenographen hielten das Verfahren auf, weil sie offenbar des Englischen kaum mächtig waren und vom Richter ihre Protokolle buchstabiert bekommen mussten.

Die grauenhafte Gruppenvergewaltigung der Studentin hatte seinerzeit in Indien über Wochen zu massenhaften Protesten, vor allem junger Leute beiderlei Geschlechts, geführt und bis zum heutigen Tag zu einer breiten Diskussion über die Stellung der Frau in Indien und die Brutalität und Missachtung, die die weibliche Hälfte der indischen Gesellschaft erfährt. Diese Diskussion findet in Teilen der städtischen Mittelklasse statt. Auf dem Land , aber eben nicht nur dort, gelten die Normen der patriarchalischen Gesellschaft, für die es normal ist, dass Frauen schon vor der Geburt oder gleich danach umgebracht werden, dass man kleine Mädchen schlechter als ihre Brüder versorgt, dass sie bereits als Kinder verheiratet werden, dass Bräute verbrannt werden, wenn sie nicht genug Mitgift bringen, oder junge Frauen, die Stalker abwehren, mit Säure übergossen werden, dass man nichts dabei findet, schon die kleinsten Mädchen in die Prostitution zu verkaufen, dass bei einer Vergewaltigung angeblich nur die Ehre ihres Mannes oder der männlichen Verwandten, und nicht etwa die der Frau, beschädigt wird, dass Frauen Freiwild sind. In Indien wird im Minutentakt vergewaltigt, und kaum eine Frau wagt es, das Verbrechen anzuzeigen, weil in den meisten Fällen das Opfer für die Tat verantwortlich gemacht wird. Was geht sie in der Dunkelheit aus dem Haus, warum fährt sie in öffentlichen Verkehrsmitteln, warum verhüllt sie sich nicht? Eine Untersuchung der Thomson Reuters Stiftung kam 2012 zu dem Ergebnis: Indien ist für eine Frau das schlimmste Land unter allen G20 Nationen.

Ob eine Vollstreckung der Todesurteile, ja ob die Todesstrafe, die von der aufgeschreckten Politik eilends für Vergewaltigung in das gleichzeitig verschärfte Sexualstrafrecht hineingeschrieben wurde, indische Männer künftig abhalten wird, sich an Frauen zu vergehen, ist fraglich. Es muss vielmehr ein Ende haben, dass Mädchen und Frauen in der indischen Gesellschaft so verachtet werden, wie es jetzt der Fall ist. Eine solche Veränderung Indiens können allerdings nur die Frauen selbst schaffen. Indem sie darauf bestehen, dass ihnen die gleichen Rechte wie den Männern zustehen. Indem sie aber auch in die Lage versetzt werden, diese Rechte durchzusetzen. Das allerdings ist nur möglich, wenn Mädchen und Frauen den Zugang zu Bildung und Ausbildung erhalten. Der aber wird ihnen bis heute weitgehend verwehrt. Deshalb hat sich LIFT e.V. entschlossen, ein weiteres Mädchenheim in Süd-Indien zu unterstützen, wo die Kinder all das lernen können, was ihnen das patriarchalische System in ihren Dörfern vorenthält.

– Dr. Gabriele Venzky