08. Dez
2016

Folgen der Geldentwertung

Die indische Regierung hat am 8. November über Nacht die beiden größten Banknoten, den 500-Rupien-Schein und den 1000-Rupien-Schein überraschend für ungültig erklärt. Das klingt nach großen Summen, aber der eine ist nur etwa sieben, der andere knapp 14 Euro wert. Jetzt sitzt das ganze Land plötzlich praktisch ohne Bargeld da und nichts läuft mehr. Unsere Projektpartnerinnen, die Helpers of Mary, haben zwar gut gefüllte Bankkonten, aber sie können bis auf Weiteres nur Mini-Beträge abheben, weil der Staat nicht mit dem Drucken der neuen Fünfhunderter und Zweitausender, die die Tausender ersetzen sollen, nachkommt. Nun herrscht große Not.

„Bei uns ist die Hölle los. Wir leben im absoluten Chaos“, schreibt uns Sr. Rohini, die Oberin in Rivona, der alle südindischen Stationen der Helpers of Mary unterstehen. „Ich hatte eben erst Geld von der Bank geholt, alles in Fünfhundertern; die waren nun wertlos. Ein Glück, dass ich gerade ein paar Vorräte eingekauft hatte. In der ersten Woche konnten wir noch 2000 Rupien (etwa 28 Euro) pro Tag gegen neue Banknoten eintauschen. Das geht inzwischen nicht mehr. Nun kann man Geld nur noch vom Konto abheben, wenn man eines hat. Aber mit den erlaubten 10.000 Rupien (rund 140 Euro) pro Woche weiß ich nicht, wie ich davon mehr als 200 Mädchen und Aids-kranke Frauen versorgen soll. Immerhin sind die Bankleute nett zu uns. Wir Schwestern brauchen uns nicht in die kilometerlangen Schlangen vor der Bank einzureihen.“

Solches Glück haben die Schwestern in Balwatika nicht. Dies ist das Heim, das von LIFT betreut wird, seit der Hilfsverein Hannover aufgelöst ist. „Wir sind in große Schwierigkeiten und Not geraten“, schreibt Sr. Suman. „Eine unserer Schwestern stellt sich täglich vor Tau und Tag an der Bank an, um wenigstens 2000 Rupien in neuen Scheinen zu ergattern. Aber wenn sie abends endlich vor dem Schalter steht, dann heißt es oft: Sorry, wir haben kein Geld mehr. Am nächsten Tag geht sie dann noch früher los, manchmal klappt es, manchmal nicht. Man hat uns gesagt, wir sollten alles mit Schecks zu bezahlen. Aber uns sind die Schecks ausgegangen, und die Bank sagt uns, sie hat keine neuen mehr. Also Probleme überall. Dann sagten sie uns, wir sollten uns an den Geldautomaten anstellen. Aber wo gibt es die denn schon auf dem Lande, und die meisten Leute wissen ja gar nicht, was ein Geldautomat ist. Ich muss 140 Adivasi-Mädchen satt bekommen. Dafür brauchen wir 25 Kilo Reis am Tag, 35 Kilo Hirse für das Frühstück, je 10 Kilo Kartoffeln und Gemüse, fünf Liter Öl und acht Kilo Linsen. Dabei steigen die Preise rasant, zum Beispiel für Linsen von 70 auf 150 Rupien. Alles ist ein einziger Kampf geworden.“

Nicht viel besser geht es Sr. Philomena, der Oberin unseres Heimes Anugraha. „Ich ging mit 24.000 in alten Rupienscheinen (rund 333 Euro) zur Bank und wollte dafür neues Geld haben. Der Filialleiter sagte mir, ich möge eine schriftliche Erklärung abgeben, warum ich so viel Geld brauchte. Ich sagte ihm, um 40 Kinder zu versorgen und schrieb die Erklärung. Aber die wurde nicht akzeptiert. Also versuchte ich es mit 12.000 Rupien. Wieder wurde ich abgewiesen. Inzwischen darf ich 24.000 Rupien pro Woche von unserem eigenen Konto abheben, aber das reicht nicht. Unser Händler lässt uns Essen auf Kredit kaufen und der Gemeindepfarrer hat uns etwas Geld geliehen.“

Ähnlich sieht es in unserem Heim Shanti Dhama aus, wo ebenfalls 40 Mädchen zu versorgen sind. „Wir bekommen inzwischen 24.000 Rupien pro Woche, aber dafür müssen wir stundenlang Schlange stehen. Man gibt uns lediglich die neuen Zweitausender (rund 28 Euro), aber da es inzwischen kein Kleingeld mehr gibt und niemand herausgeben kann, sind Einkäufe sehr schwierig. Besonders für die Armen, die ja nur ganz kleine Mengen kaufen können“, teilt Schwester Severine mit.

Stundenlang anstehen bei der Bank müssen auch die Schwestern aus unserem Collegeheim Premanjali. Zwar dürfen auch sie inzwischen 24.000 Rupien pro Woche abheben. „Aber das reicht nicht für unsere 29 Mädchen und den ganzen Betrieb“, erklärt Sr. Leelavati. „Gottseidank hatten wir am Anfang noch ein paar Vorräte, aber die sind jetzt aufgebraucht, und wir können nur hoffen, dass das Geldproblem bald vorübergeht.“ Da aber niemand weiß, wann das sein wird, haben die Mädchen begonnen, im Garten Gemüse anzubauen.

Große Schwierigkeiten an neues Geld zu kommen gibt es in den Großstädten. „Wir wissen nicht, was aus uns wird“, heißt es aus dem Mutterhaus in Bombay. „Theoretisch dürfen wir 24.000 Rupien pro Woche vom Konto abheben, aber tatsächlich sind es nur 6.000 (rund 83 Euro), weil die Bank nicht genug neues Geld hat. Mit dieser Summe müssen wir 250 Kinder, Schwestern und Senioren in unserem Altenheim versorgen, dazu unsere Klinik. Weil es kein Wechselgeld gibt, sollen alle nur noch bargeldlos per Scheck bezahlen, aber wer kann schon mit Schecks etwas anfangen?“

Die Antwort ist einfach: Nur wer ein Bankkonto und einen Ausweis hat. Aber hunderte Millionen Menschen haben das nicht, und hunderte Millionen können deshalb, falls sie etwas gespart hatten, altes Geld nicht in neues umtauschen. Das Geld ist weg. Die überraschende Entwertung der beiden größten Geldscheine die im Umlauf waren, wird von der Regierung Modi als Mittel im Kampf gegen Korruption und Schwarzgeld bezeichnet. Aber wieder einmal trifft es die Ärmsten der Armen. Denn die leben als landlose Bauern, als Tagelöhner und Wanderarbeiter, wie die 40 Millionen, die auf dem Bau schuften, von der Hand in den Mund. Diese Menschen werden von Tag zu Tag bezahlt, mit Bargeld. Überhaupt: 90 Prozent aller Zahlungen werden bar abgewickelt, sogar der Kauf eines Autos oder einer Wohnung. Weil aber überall das Bargeld fehlt, sind Handel und Wandel zum Stillstand gekommen, die landesüblichen Kleinstbetriebe, aber selbst größere Unternehmen wie die Automobilindustrie, fahren Tag um Tag ihre Produktion weiter zurück, der Konsum ist komplett zusammengebrochen, Lebensmittel verrotten auf den Großmärkten und jeden Tag werden mehrere Millionen Menschen arbeitslos. Selbst der Schuster, der auf dem Gehweg hockt, findet keine Kundschaft mehr. Niemand hat das Kleingeld, um ihn zu bezahlen. In Indien wird nun gehungert.

Ob die Aktion der Regierung Modi tatsächlich die Korruption ausmerzen oder die auf rund 1,6 Billionen Euro geschätzte Schattenwirtschaft austrocknen kann, wird von den Ökonomen bezweifelt. Wirksamer wäre es wohl, ein funktionierendes Steuersystem durchzusetzen. Aber die Regierung will alles kontrollieren können. Deshalb will sie das Cash-Land Indien zu einem bargeldlosen Land machen, in dem nur noch Bankkonten, Schecks, Kreditkarten und Smartphones zum Bezahlen taugen. Wer Indien kennt, ein Land, in dem die Hälfte der Bevölkerung unterhalb der Armutsgrenze lebt, kann sich nur wundern.

(Gabriele Venzky)